Über eine Baustelle, die den Magdeburgern am Herzen liegt
Das Schicksal des Blauen Bocks war besiegelt, da brach über die Städtischen Werke Magdeburg ein kleiner Sturm herein: Freude, Zuspruch, Sorge, Ideen. Die Magdeburger funkten auf allen Kanälen. Sie wollen teilhaben am Vergehen und am Werden im Zentrum ihrer Stadt. Dank der Leiterin für Öffentlichkeitsarbeit Anja Keßler-Wölfer und Anne-Kathrin Beyer, der Bereichsleiterin Marketing, können sie das auch.
»Die ersten Reaktionen waren zahlreich – fast wie eine Epidemie«, erinnert sich Anne-Kathrin Beyer. »Wir haben gleich gemerkt, dass wir da reagieren müssen.« Sie hatte frühzeitig die Idee, einen Blog zum Bock zu machen: Unter dem Namen www.blauer-bock-magdeburg.de ging er schließlich online. Dort informieren die SWM über alles Interessante von gestern und von morgen. Und sie rufen die Magdeburger auf, ihre eigenen Geschichten zum Blauen Bock zu erzählen. Ehemalige Mieter und ihre Kinder teilen ihre Erinnerungen. »Das Gebäude war eben mehr als eine leere Gebäudehülle aus Beton«, weiß Anja Keßler-Wölfer. »Es ist interessant, dass die Magdeburger uns als Nahversorger vor Ort anvertrauen wollen, was sie bewegt. Schließlich haben die regionalen Medien ebenfalls zur Mitarbeit aufgerufen – mit weniger Erfolg.«
Junge Leute und ehemalige Magdeburger nutzen den Blog besonders gern. Aus aller Welt kommen Reaktionen für die Facebookseite. Als die erste Platte im Mai 2016 niederging, gab es ein Live-Video. Es hatte mehr als 11.000 Aufrufe. Im November ging ein Zeitraffer vom Abriss online. Für den interessierten sich ebenfalls mehrere Tausend Menschen.
Wer die leere Gebäudehülle aus Beton nicht irgendwann selbst einmal mit Leben erfüllt hat, der lief zumindest regelmäßig daran vorbei. Jahrelang war der Blaue Bock wieder und wieder Stadtgespräch. Kunstaktionen versuchten, Aufmerksamkeit für sein Schicksal zu erzeugen. Einmal bemalten die Mitglieder eines jungen Kulturvereins die Fenster mit einer riesigen Unterwasserszene. Als die SWM dann die Fenster mit Holzbrettern verriegelten, pappten die Leute direkt Aufkleber drauf. »Hier wird etwas passieren«, war dort zu lesen – und der Aufruf, sich einzubringen.
Die SWM boten auch mehrere Führungen durch den Blauen Bock an: ein Museum auf Zeit. Sieben Etagen Vergangenheit. 800 Besucher tauchten noch mal ein, zwei Theateraufführungen des Bürgerensembles mit eingerechnet. Die Leute öffneten Schränke, machten letzte Verstecke ausfindig, nahmen sich Fundstücke und Tapetenfetzen als Erinnerung mit.
Bei einem von den SWM initiierten Malwettbewerb kamen dann Schüler zum Zug. Sie malten ihre Träume aus. 200 Einsendungen! Die schönsten wurden in der Zukunftsgalerie ausgestellt, an der Fassade des alten Bocks. Die SWM wollen die Wünsche der Magdeburger einfangen. Auf dem großen Straßenfest Meile der Demokratie haben sie direkt danach gefragt. »Macht etwas Schönes!«, kam da zum Beispiel heraus. Die besten Aussagen wurden festgehalten – auf Planen, die die Baustelle einhüllen. Später nähte die Lebenshilfe Magdeburg daraus die liebevoll genannten Bocksbeutel. Nachhaltige Einkaufstaschen. Sie treffen den Nerv der Zeit.
»Die Menschen sollen sich von diesem markanten Gebäude verabschieden können. Wir wollen sie mitnehmen bei der Entstehung des Neuen«, betont Anja Keßler-Wölfer. »Jeder von uns hat ja seine eigene Vorstellung davon, was an diesen Platz gehört.« Den einen ist es wichtig, dass die SWM ökologisch bauen. Und das werden sie auch. Andere träumen von bestimmten Läden, die in Magdeburg noch durch Abwesenheit glänzen. Denn es sind Marken, die eine Großstadt ausmachen. Das ist den beiden Expertinnen für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit klar.
Wenn die beiden ihre Aktionen planen, dann denken sie auch an die direkten Anlieger: Nebenan eine Großbaustelle – das kann schon mal für Aufregung sorgen. Es bedeutet laute und staubige Jahre. Keiner soll erst aus der Zeitung erfahren, was da nebenan geschieht. Die SWM informieren ihre neuen Nachbarn direkt. Vor Ort um Verständnis werben, das sei schon eine Frage der Wertschätzung.
Warum das Ganze? »Wenn man sich in dieser Stadt ein bisschen auskennt, weiß man, was die Leute bewegt«, findet Anne-Kathrin Beyer. Die SWM wollen mit den Menschen im Gespräch bleiben. Nun bleibt noch die Frage nach einem Namen für das neue Gebäude. Die Magdeburger werden sich ihre Meinung schon bilden. Doch eins ist klar: In den vergangenen Jahren ist das Selbstbewusstsein der Stadt so weit gestiegen, dass man ruhig auch mal höher und größer bauen kann.