Magdeburg hat keinen Bock mehr – auf Stillstand
Seit über 15 Jahren ist Dr. Lutz Trümper Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Magdeburg. In dieser Zeit musste er viele alte Zöpfe abschneiden.
Beim Abriss des Blauen Bocks empfand er besonders »große Freude«, wie er sagt. Manchmal muss man mit Altem brechen, um Schönes zu schaffen. Und in Magdeburg hat das neue Stündlein schon geschlagen. Alle Weichen sind auf Veränderung gestellt.
»In Städten wird investiert und gebaut, wenn sie sich entwickeln«, sagt Lutz Trümper. Und sie entwickeln sich, wenn investiert und gebaut wird. Der Oberbürgermeister sitzt in einem der schwarzen Ledersessel in seinem großräumigen Büro. Durch sein großes Fenster schaut er auf die Straßen Bei der Hauptwache und Katzensprung. Nur einen Katzensprung entfernt von hier befindet sich auch die Baustelle Blauer Bock. Jeden Tag fährt er daran vorbei. Keine zwei Kilometer weiter laufen am Damaschkeplatz die Bauarbeiten für den sogenannten Citytunnel – die Eisenbahnüberführung Ernst-Reuter-Allee – auf Hochtouren. Seit einigen Jahren lockt die Elbpromenade Magdeburger und Touristen inmitten der Stadt auch in die Natur. Die Straßenbahntrassen werden erweitert, Brücken saniert, das Domviertel umgestaltet und für den Hafen sind Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe geplant. Auch das Grundstück Blauer Bock wird neu gestaltet. Das passt in das Gesamtbild. Die SWM haben den alten Plattenbau abgerissen. Der Abschiedsgruß des Oberbürgermeisters: »Dass man überhaupt solch ein hässliches Gebäude mitten in die Innenstadt gesetzt hat – das sagt ja schon alles.« Der Bock war nie zur Zierde da. Eher eine Art Nutztier im Vorgarten. 1966 wurde er aus der Wohnungsnot heraus gebaut. Ein Bauarbeiterhotel und Schwesternwohnheim für das nahe gelegene Klinikum. 321 Einraumwohnungen – knapp 17 Quadratmeter mit einer Kochnische, einer Toilette und einem kleinen Waschbecken. Am Ende jeder Etage befanden sich die Gemeinschaftsduschen. Anfang der 1990er-Jahre war Schluss damit. Die letzten Mieter zogen aus.
Dann passierte mehr als 20 Jahre lang … nichts. Schwierige Eigentumsverhältnisse,
Interessenkonflikte und weitere ungünstige Rahmenbedingungen nahmen einer Idee nach der anderen den Wind aus den Segeln. Einkaufszentrum, Wohnungen, Parkhaus – es sollte alles nicht sein. Der Blaue Bock bockte. Mitten in der Innenstadt blieb er einfach stehen, hielt die Zeit an und blockierte Sichtachsen und Wege.
»Hier geht es nicht voran«, schien der Blaue Bock zu schreien. Ein Spiegel für ganz Magdeburg. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte es Probleme, wieder richtig auf die Beine zu kommen. Die Innenstadt komplett zerstört, bekam es einen völlig neuen Grundriss. Ab den 1950er-Jahren kam dann die Platte aus Beton. Und noch bis heute reihen sich Gebäude der unterschiedlichsten Epochen aneinander. Immer wieder droht das Gähnen der Leere – Abriss hier, Baulücke dort. Auch, weil nach der Wende viele junge Leute abwanderten, wichtige Teile der Wirtschaft wegbrachen und Investoren mehr und mehr das Interesse verloren.
Doch Magdeburg ließ sich nicht beirren: Man baute weiter … an neuen Gebäuden und einer neuen Identität. Nun hat ein anderes Stündlein geschlagen – für den Blauen Bock war es das letzte. Über Jahre waren die Verhandlungen mit den Eigentümern und möglichen Investoren im Sand verlaufen.
Jetzt bricht in ganz Magdeburg eine neue Phase an. In kurzer Zeit passiert wahnsinnig viel und die gesamte Stadt scheint eine Baustelle zu sein. Nachdem die Stadt an der Elbe lange schrumpfte, gewinnt sie nun wieder an Einwohnern. Die Zeitungen schreiben von einer Boomtown, von Chancen, Dynamik und einer Großstadt mit Kleinstadtflair. Neue Branchen siedeln sich an und neue Menschen kommen in die Stadt. Die Geburtenzahlen steigen. Die Familien brauchen eine gut funktionierende Innenstadt – Kitas, Schulen, Kultur, den Arbeitsplatz vor der Haustür. Büroflächen in der Innenstadt sind jetzt wieder sehr gefragt. Das zentral gelegene City Carré wird also schnell neue Mieter finden, davon ist Lutz Trümper überzeugt. Dort waren die SWM jahrelang zu Hause. Bald werden sie umziehen – in ihr eigenes Verwaltungsgebäude.